Follow my dream – Tahnée Seagrave und Co.
Follow My Dream Racing ist schon seit einigen Jahren bekannt – zumindest der harte Kern bestehend aus Tony und Jo Seagrave, Tochter Tahnée und Sohn Kaos. Vor über zehn Jahren ließen sich die Seagraves im französischen Alpen-Nest Morzine nieder, um sich auf die Suche nach Bergen, Abenteuern und später auch weltweiten Rennerfolgen zu begeben. Lassen wir Vater Tony ihre Geschichte erzählen!
FMD Racing wurde damals gegründet, um Sponsoren für Tochter Tahnée zu finden und ihr den Weg zur Junioren Weltmeisterin zu ebnen. Das Ziel war hoch gesteckt und die Erwartungen groß, aber wenn man Tahnées Talent mit eigenen Augen sah und die Resonanz in der MTB-Presse beobachtete, dann wurde schnell klar, das man es hier nicht mit einer Eintagsfliege zu tun hatte, sondern mit einem großen Talent, einem möglichen neuen Superstar der Szene.
Als der Traum dann Realität wurde und Tahnée 2013 in Pietermaritzburg Weltmeisterin wurde, schoss das Familiengeschäft durch die Decke und FMD Racing gehörte mit einem Schlag zu den bekanntesten Teams im Rennzirkus. 2014 schaffte es Tahnée, sich bei den Elite Worldcup Rennen auf den vorderen Rängen zu platzieren: Bestes Resultat war ihr Platz 3 in Norwegen, und sie besiegte Manon Carpenter im letzten Lauf der Britischen Downhill Serie in Wales. Für die Familie Seagrave wiesen nun alle Zeichen in eine positive Richtung und mit Tahnées jüngerem Bruder ist noch ein zweites Eisen im Feuer. Er wird mit Sicherheit seinen Weg in den Worldcup-Zirkus finden, wenn er alt genug dafür ist.
Wir von der DIRT dachten, dass es mal an der Zeit wäre, die Familie in ihrem Heim in den französischen Alpen zu treffen, wo auch das dritte Teammitglied Neil Stewart während der Sommermonate seine Basis hat. Und wer könnte uns die Geschichte von FMD besser erzählen als die treibende Kraft hinter dem Team selbst, der Manager und Vater Tony Seagrave.
Hinter den Kulissen
2003 sind wir in die Alpen gezogen, da uns London zu langweilig wurde und wir auf keinen Fall die Kinder dort großziehen wollten. So entschieden wir uns für ein Dorf in der Nähe von Morzine. Ich fuhr früher schon immer mal wieder Mountainbike und nach dem Umzug hatte ich endlich wieder die Gelegenheit dazu. Es war großartig, mit allen drei Kids (Tahnée, Kaos and Chevy) loszuziehen. Damals war ich allerdings noch schneller als sie. Es war die beste Zeit, um ihnen die Grundlagen des Mountainbikings beizubringen. Während ich die beiden Älteren beaufsichtigte, fuhr meine Frau mit Kaos, erst vier Jahre alt, in Les Gets einen einfachen Trail vom Anfang des alten roten Gondel-Lifts runter ins Dorf. Kaos saß hinten in einem Bike-Anhänger. Das sah schon recht lustig aus, wenn meine Frau das Ding in die Gondel hievte.
Schon als Tahnée mit dem Mountainbiken anfing, wollte sie unbedingt Rennen fahren. Wir hörten dann von den Avalanche-Rennen und sie wollte unbedingt mitmachen, so dass sie bei einigen Rennen teilnahm. Am Anfang war sie meist die jüngste Teilnehmerin und wurde immer von den Älteren besiegt, aber das brachte sie erst so richtig in Fahrt – Tahnée hasst es nämlich zu verlieren. Als Kaos alt genug war, hatte sich das Reglement für Rennen in Frankreich verändert und es gab dann nicht so viele Veranstaltungen für ihn. Hauptsächlich wurden die Regeln aus versicherungstechnischen Gründen geändert: Für Kinder in seinem Alter war es nicht erlaubt, Doppelbrücken-Gabeln zu fahren und da er immer die alten Räder von Tahnée fuhr, konnte er nicht antreten. Deswegen liegt er in Sachen Rennerfahrung im Vergleich zu Tahnée ein bisschen zurück, obwohl er auf jeden Fall die nötigen Skills hat.
Tahnée ist superfokussiert und lebt fürs Racing. Einfach nur herumfahren langweilt sie, wenn kein Ziel, kein Gegner da ist, an dem sie sich messen kann. Als sie alt genug war, auf Kaos aufzupassen, war sie oft genervt davon, dass sie beim Biken immer auf ihn warten musste. Das hat sich inzwischen geändert. Kaos liebt es, in Morzine mit ein paar Freunden zu fahren. Ideal für ihn sind schnelle Strecken, auf denen er massive Whips ziehen kann. Die Sache mit dem Rennteam war eigentlich gar nicht geplant, aber als Tahnée 12 Jahre alt war, fingen die Leute an, ihr zu helfen und so ergab es sich irgendwie. Sie sah, wie Vanessa Quin 2004 die Weltmeisterschaft in Les Gets gewann und von da an war klar, was sie werden wollte: Weltmeisterin!
Alle meine Kinder sind sehr athletisch, das haben sie von ihrer Mutter, von mir kommen die Wettkampf-Gene. Man muss natürlich ein sehr fokussierter Typ sein, um in egal welchem Sport ein Weltklasse-Athlet zu werden. Obwohl ich nie besonders gut war, bin ich immer der 6P Regel gefolgt: „Proper Preparation Prevents Piss Poor Performance“. Wenn man Leuten mit Talent und Hingabe die 6P-Regel beibringt, werden sie ihr Potential erkennen und wenn sie außerdem noch fokussiert sind, können sie Großes erreichen.
Die Suche
Am Anfang war alles eine einzige Herausforderung und wir mussten ständig bei Sponsoren und Firmen um Unterstützung betteln, da Material ziemlich teuer ist. Wir machten kurze Videos und Fotos, wann immer wir konnten, und schickten sie an Firmen. Die Firmen dachten wohl, wir wären „Tenniseltern“ – überstolze Eltern, die von ihrem Sprössling überzeugt sind, deswegen war mir früh klar, dass wir das Ganze auf eine etwas professionellere Ebene bringen und die Sache größer aufhängen müssen.
Oakley war als erster Sponsor an Bord, da wir jemanden kannten, der jemanden kannte und Tahnée fing an, auf dem Track mit ihren Skills auf sich aufmerksam zu machen. Dann half uns Nigel Page (Ex-World Cup Fahrer und jetzt Team Manager bei CRC/Nukeproof) für Tahnée ein Mini Intense DH-Bike zu ihrem 13. Geburtstag zu bauen. Bis dahin war alles eine einzige Bettelorgie, um an Material zu kommen.
Tahnée wurde in der Folge stetig besser und immer mehr Firmen kamen an Bord. Marzocchi war dann der erste echte Sponsor und kurz darauf stieg Intense ein.
Anfang 2012 kamen dann einige Teams auf uns zu und wollten, dass Tahnée für sie fährt, da wir aber bis dahin schon so viel Unterstützung von vielen Leuten bekommen hatten, wollten wir die alten Sponsoren nicht vor den Kopf stoßen und hatten schon so viel Herzblut in FMD gesteckt, dass wir das Ganze auch durchziehen wollten, um das Ziel Weltmeisterin zu erreichen.
Familienzuwachs
Wir heißen jeden in der Familie willkommen – immer! Unsere erste wirkliche Erfolgsstory war Tom Duncan. Er war ein Typ von der Uni, der in die Bike-Industrie und Produktentwicklung wollte und außerdem viel Spaß an der Mechanik hatte. Es ist eine längere Geschichte, aber um es kurz zu machen: Ich fragte ihn, ob er nicht Lust hätte, für uns als Mechaniker in unserer ersten Worldcup-Saison zu arbeiten, gegen freie Kost und Logis. Inzwischen ist er der Mechaniker von Steve Peat! Dann war da noch Mike Jones, heilige Scheiße, der Typ war ein Glücksgriff! Ich habe mir zig Videos angeschaut, seine Form begutachtet und ihn Rennen fahren sehen. Tahnée hatte Mike im Red Bull Camp getroffen und erkannte, was er mit dem richtigen Support erreichen könnte. Mir war klar, dass wir ihm helfen konnten und so beendete Mike dann die 2013er Saison als Dritter bei den Weltmeisterschaften und als Zweiter im Gesamtklassement in der UCI World Cup Junior Klasse.
Ich hatte immer im Hinterkopf, das Mike gehen könnte, trotzdem versuchte ich, ihn davon zu überzeugen, bei uns zu bleiben und war ziemlich enttäuscht, als er dann doch wechselte. Aber klar, ich bin nicht Sam Hill und das CRC/Nukeproof Team. Es war einfach nur ärgerlich, weil Mike, Tahnée und Neil Stewart ein Superteam gewesen wären, das uns eine Menge eingebracht und unsere Bekanntheit und das Standing bei den Sponsoren auf ein ganz anderes Level gehoben hätte.
Neil hatte ein schlechtes zweites Jahr in der Jugend, aber ich sah ihn mir genau an und erkannte, dass er einige Schwächen in seiner Performance hat, an denen man arbeiten kann, deswegen lud ich ihn ein, bei uns den Sommer zu verbringen. Der Junge ist großartig – er schlief bei uns auf dem Boden, lebte aber seinen Traum. Mike, Tahnée und Kaos sagten, dass er richtig gut auf dem Bike und auch sonst schwer in Ordnung sei. Er putzte sogar (als Einziger) damals sein Bike noch selber.
Wie dem auch sei, ich nahm ihn für 2014 in unser Team auf, was ein Risiko war und den Sponsoren nur schwierig zu vermitteln. Er revanchierte sich aber für mein Vertrauen mit einer großartigen Performance in Cairns und Norwegen. Wir haben Neil schon seit Längerem immer wieder gesagt, dass er genau das hat, was man braucht, um vorne mitzufahren. Bei uns im Team ist die Stimmung sehr familiär und jeder unterstützt jeden, so schickte ihm Tahnée vor dem Start in Norwegen eine großartige SMS, um ihn anzufeuern und er war vor seinem Crash im ersten Split Zweitschnellster. Am Ende war er natürlich bitter enttäuscht. Ich nahm ihn direkt im Ziel zur Seite und ging mit ihm in eine ruhige Ecke. Trotz seiner Enttäuschung meinte er zu mir: „Okay, ich weiß jetzt, wo das Limit ist und was ich zu tun habe.“
Die Opfer, die man bringt
Meine Frau und ich haben für das Team ein großes persönliches und finanzielles Opfer gebracht, das sich zum Glück als Erfolg herausgestellt hat. Jetzt geht es im nächsten Schritt darum, die finanzielle Lage zu stabilisieren. Ich bin immer glücklich, wenn die Fahrer oben auf dem Berg sind, um sich warm zu fahren. Wenn der Lauf dann näher rückt, geht es mir deutlich schlechter und 15 Minuten vor dem Lauf bin ich ein nervliches Wrack. Vermutlich kommt dann der Vater in mir raus und ich fühle die Verantwortung und die Sorgen. Es ist egal, ob meine eigenen Kinder fahren oder Neil. Seine Eltern haben ihn mir anvertraut und die Gefahr, sich ernsthaft zu verletzen, ist immer gegeben, wenn er so schnell wie möglich einen Berg runter fährt, über Wurzeln, Felsen, an Bäumen vorbei und über große Sprünge! Eine gruselige Vorstellung! Abgesehen davon muss ich meinen Stolz immer wieder herunterschlucken und Leute um Geld oder sonstige Hilfe bitten, was mir persönlich schwer fällt.
BEI DEN RENNEN
Manchmal laufen die Rennwochenenden wirklich gut und manchmal läuft einfach alles schief, was nur schief gehen kann. In diesen Situationen blühe ich so richtig auf, je mehr Druck desto besser, auch wenn die Kacke so richtig am dampfen ist. Zum Beispiel nach dem Qualifying in Windham bin ich fast verrückt geworden. Wir waren seit 2 Wochen unterwegs und ein paar Sachen außerhalb meiner Kontrolle liefen nicht so, wie wir das wollten. Hinzu kam, dass Tahnée und Neil jeweils Sechste im Qualifying wurden – nicht schlecht, aber mit einer miserablen Zeit. Ich wusste, dass beide unzufrieden waren und sie den Fokus ein bisschen verloren hatten. Vor den Finals setzten wir uns zusammen und redeten darüber, wie wir das Problem lösen könnten. Im Endergebnis wurde Tahnée Fünfte und holte im Rennlauf einiges an Zeit heraus, Neil hatte seinen zweitbesten Lauf der Saison und wurde Vierter. Hinterher sagten beide, es hätte nichts mit unserem Krisengespräch zu tun gehabt, ich fand aber, es war einer der besten Momente der Saison, dort in der Sonne zu sitzen und sich auszusprechen.
DAS TEAM HINTER DEM TEAM
Mir war klar, dass ich bald Hilfe brauchen würde, nachdem ich das Team jahrelang nur mit der Familie am Laufen hielt. In Tahnées erstem Jahr hatte ich sie noch trainiert, wusste aber, dass ich nicht die optimale Person dafür bin und wir jemanden finden mussten, der das besser kann als ich. So kamen wir auf Chris Kilmurray, der mit Point1Ahtletics ein eigenes Unternehmen führt. Da er auch bei uns daheim tätig ist und sowohl Tahnée als auch ich von ihm beeindruckt waren, fingen wir an, mit ihm zu arbeiten. Er ist sehr qualifiziert und bringt das Fitnesslevel seiner Athleten extremst nach vorne. Er besitzt die Fähigkeit, seinen Athleten gut zuzuhören, von ihnen zu lernen und seine Programme entsprechend zu verändern. Außerdem passt er hervorragend ins Team, er ist Gold wert.
Sarah Muir, jetzt Assistant-Manager, ist eine unglaublich große Hilfe. Sie hat im letzten Jahr mit meiner Frau auf der Fahrt zum Worldcup in Leogang gesprochen und gemeint, dass sie Interesse an einem Job im Team hätte. Sie hat einen Abschluss in BWL und organisierte erfolgreich eine kleine Frauen-Rennserie (Diva Descent). Sie verdient so gut wie nichts, aber ihre Hilfe ist unbezahlbar.
Und Matt, unser Mechaniker! Nicht mal die Fahrer ahnen, wie besessen er das Team und seine „Babies“, die Bikes, liebt. Ich weiß es genau, denn ich bekomme seine Rechnungen und ich habe keine Ahnung, wie er sein Leben davon bestreitet und alles nur, um dabei zu sein. Zuhause in Surrey hat er ein kleines Fahrradgeschäft, den Rest der Zeit verbringt er mit uns.
Und dann ist da noch die Person, die mehr als alle anderen gibt: Jo, meine Frau. Sie ist das Herz, um das sich alles dreht. Sie kann hervorragend kochen und sorgt dafür, dass wir uns alle einigermaßen gesund ernähren. Sie und Chris haben unsere Ernährung verändert, speziell Mike und Neil haben sich vorher hauptsächlich wie typische Teenager ernährt, bevor sie in unser Team gekommen sind.
Dann ist da noch Robbie Giles, der für uns die Video- und Fotosachen macht, er wird von Video zu Video besser und er versteht sich großartig mit den Fahrern, was wirklich entscheidend für gutes Film- und Fotomaterial ist. Ich würde ihn gerne bitten, noch mehr zu machen, aber ich kann ihm seinen Einsatz nicht bezahlen, auch wenn er uns wirklich wohlgesonnen ist. Überhaupt würde ich gerne wachsen, aber aus rein finanziellen Gründen und Vernunft tun wir es nicht. Ich habe aber schon ein Auge auf einen erfolgversprechenden Nachwuchsfahrer geworfen, seine Ergebnisse waren gut, aber noch schwankend. Mit der Extraportion FMD-Racing-Team-Liebe wird er mit Sicherheit unter den Top-10 der Junior Serie im nächsten Jahr sein.
Die Zukunft
Was wollen wir erreichen? Als Erstes möchte ich, dass jeder angemessen bezahlt wird! Danach sind wir offen für Angebote. Ich denke, wir werden immer stärker sein, wenn wir zusammen bleiben, aber man sollte niemals nie sagen. Grundsätzlich wollen wir weg von den jährlichen Verträgen, unser Ziel sind längerfristige Verträge, damit wir den Fahrern besser helfen und vor allem eine weitere Entwicklung einleiten können.
2014 war fantastisch: Tahnées erstes Jahr in der Frauen Elite hat uns nicht überrascht. Und da wir von Neil dieses Jahr noch nicht viel erwartet hatten, war der siebente Platz in der Gesamtwertung des Junioren Worldcups eine absolute Überraschung, wow…
Glaubt mir, wir werden keinesfalls aufhören! Diese letzten Rennen, speziell die Weltmeisterschaft und das Finale der British Downhill Series, haben noch mal Benzin auf das Feuer gekippt, das in Tahnée lodert. Den Winter über wird sie in Sheffield wohnen, um dort mit Tommy D., unserem alten Mechaniker und noch ein paar anderen Fahrern in den Hügeln zu trainieren, denn sie möchte stark in die nächste Saison starten. Chris und ich hatten uns das vor einer Weile auch schon überlegt, aber Tahnée hatte die Entscheidung getroffen, bevor wir überhaupt mit ihr darüber gesprochen haben. Ich denke, dass es sie sowohl vom Standpunkt eines Athleten weiterbringt als auch von ihrer Persönlichkeit her. Ob ich glaube, dass Tahnée und Kaos immer im Team bleiben werden? Ich hoffe doch, da wir versuchen ein Geschäft aufzuziehen. Wir sprechen gerade mit unseren Sponsoren und versuchen, Neil irgendwo im Süden für den Winter unterzubringen, wir werden sehen, ob das klappt. Beide, Tahnée und er, waren die gesamte Saison über drauf und dran den Schritt an die Spitze zu machen. Tahnées dritter Platz bei der WM zeigte, dass sie enorm zu Manon Carpenter und Rachel Atherton aufgeschlossen hat.
So wie Tahnée im Laufe der Saison 2014 immer besser wurde, ist sie hoch motiviert, auch 2015 ihren Aufwärtstrend fortzusetzen. Neil Stewart ist bei FMD angekommen und der positive Einfluss der Seagraves auf ihn ist groß. Ernsthafte Trainingspläne für den Winter und ein Team, das heiß darauf ist, sich ständig zu verbessern, lassen uns für 2015 auf große Dinge hoffen. Wir werden sicherlich noch viel von FMD Racing hören!