Nicole Beege, seit 2005 mit dem Mountainbike-Virus infiziert, ehemalige Deutsche Vize-Meisterin und Bayerische Meisterin im Downhill, liebt das Freeriden und Touren fahren. Ende des letzten Jahres war sie mit Freunden einer Einladung nach Taiwan gefolgt und berichtet nun von ihren Erlebnissen auf der Insel. Eines interessierte sie ganz besonders: Kann man in Taiwan, wo zahlreiche Fahrräder herkommen, eigentlich auch biken? Lest hier den zweiten Teil von Nicoles Reisebericht!
Teil 3
Nach einer weiteren Stunde mussten wir feststellen, dass wir immer noch gute drei Stunden von unserem Ziel entfernt waren. Völlig ausgekühlt und patschnass gab ich auf. Willkommen in den Bergen von Taiwan – es ist nun mal wirklich kein Spielplatz hier oben. Zurück auf der Hütte legte ich mich erst mal trocken, mit den wenigen anderen Sachen, die ich noch dabei hatte. Wie nur sollten wir unsere Sachen bis morgen trocken bekommen? In der Hütte war es kälter als draußen! Kein gemütliches Kaminfeuer, wie wir es aus urigen Alpenhütten kennen, keine gemütlichen Sitzgelegenheiten. Eigentlich hatten wir ja sogar biwakieren wollen, da die Hütte seit Wochen ausgebucht war. Das wäre bei dem Wetter mehr als ungemütlich geworden. Inzwischen regnete es richtig. Wieder einmal sollten uns unsere Kontakte nützlich sein, die Dank Andis Sprachkenntnisse entstanden. Unser einheimischer Shuttlefahrer, der uns an den Traileinstieg brachte, kannte den Hüttenwirt. „Sagt ihm, Liao schickt Euch“. Gesagt, getan. Dass wir dadurch sogar ein eigenes Zimmer bekommen würden, Abendessen und Frühstück inklusive, das hätten wir uns nie erträumt!
Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich versuchte, meine nassen Sachen in meinem Schlafsack zu trocknen. Es funktioniert tatsächlich einigermaßen! Ungemütlich ist es schon, aber immerhin war meine Radunterhose am nächsten Tag tatsächlich trocken.
Gut gestärkt und aufgewärmt ging es am nächsten Morgen los. Wie – und vor allem wo – würde dieser Tag enden? Keine halbe Stunde später standen wir am Pass, der mit einem Monument gekennzeichnet ist. Von dort sollte es – laut Karte ohne allzu viele Gegenanstiege – bergab gehen. Die Sicht war gut und wir konnten am Horizont unser Ziel erblicken: Hualién und dahinter das Meer. Nachdem wir uns hier oben in waldfreiem Gelände noch ein bisschen Zeit nahmen für die eine oder andere Aufnahme, drängte ich die Jungs zur Eile. Wer weiß, was uns heute noch bevorstand? Die Anblicke verfallener Hängebrücken und die Wege der letzten Tage erschienen mir wie Warnungen.
Doch was dann kam, sollte alle bisherigen Erlebnisse verblassen lassen. Unendlich zog sich der Weg den Berg hinab, meist flowig, mit perfekten Kehren, teilweise mit technisch anspruchsvolleren Passagen. So vernichteten wir die ersten von über 2800 Höhenmetern in Richtung Ostküste. Wir durchquerten verschiedene Vegetationszonen, verließen rasch das waldfreie Gelände und fanden uns im Urwald wieder. Gebiete mit riesigem Bambusgewächs wechselten mit Mammutbäumen und immer wieder dieser verwachsene Feen-Wald.
Im späteren Verlauf mehrten sich unfahrbare Passagen, abgerutschte Wegstellen, verfallene Hängebrücken, ein extrem steiler Gegenanstieg mit kleiner Kletterpassage. Und dann wieder Flow – so unbeschreiblich schön, so unerwartet. Nach etwa 4 Stunden erreichten wir grinsend den Trailausgang – noch immer etwa 50km von der Küste entfernt!
Ab hier begann eine Dirtroad, die sehr lustig und zügig zu befahren war. Aufgrund von Steinschlag war die Straße für viele Kilometer maximal noch mit Motorrädern zu befahren, kein Durchkommen für breitere Fahrzeuge. Wir durchquerten Tunnel, die stockdunkel waren, zum Teil bis zu einem Kilometer lang, manchmal überflutet, so dass uns das Wasser darin bis zur Kurbel stand.
Immer weiter schlängelte sich die Straße von Tal zu Tal, unserem Ziel Hualién entgegen. Irgendwann dann Teer und eine Straße, die von Zivilisation erzählte. Es war Zeit, anzukommen. Zweimal rutschte mir auf moosgrüner, seifenglatter Fahrbahn in einer Kehre das Vorderrad weg, ein mentaler Schlag ins Gesicht. Nichts wie weiter! Es sollte noch bis zum späten Nachmittag dauern, bis wir die ersten Siedlungen der Küstenstadt erreichten. Nach all den Anstrengungen, dort wollte ich noch hin: an die Küste, bis zum Meer. Ob wir das noch im Hellen schaffen würden?
Dann auf einmal: ein Hupen, ein Winken – es ist Andis Freund! Er war uns entgegengefahren, um uns einzuladen. Das konnten wir natürlich nicht ablehnen und so wurden wir die letzten wenigen Kilometer im Sonnenuntergang zum Strand geshuttelt. Wir hatten es tatsächlich geschafft!
Der Abend verläuft feuchtfröhlich. Natürlich waren wir essen – und zwar ausgiebig und viel! Das gehört in Taiwan nun mal dazu. Und es gibt ja auch soooo leckere, gesunde Sachen – wenn man sich auskennt. Mit dem Steinmetz Wenren und seinen Freunden kam noch die eine oder andere Flasche Bier dazu. Nur für uns wohlgemerkt, denn die Locals vergnügten sich mit Sake und Whisky.
Nach einer solchen Nacht konnte ich ein typisches taiwanesisches Frühstück gut vertragen: Reisbrei, Pancakes mit Ei, Hühnchen, Krautsalat, was man morgens halt so isst. Anschließend bekamen wir eine Stadtbesichtigung der besonderen Art. Zuerst schauen wir uns die Steinmetz-Werkstatt von Wenren an. Faszinierend, wie der Stein bearbeitet wird, welche Maschinen es gibt und wie aufwendig es ist, ein solches Kunstwerk herzustellen. Wir wurden zu Aussichtspunkten gefahren, wo wir das Meer und die Berge hätten sehen können – darauf sind die Bewohner der Erdbebenstadt Hualién sehr stolz. Leider war es an diesem Tag aber zu bedeckt. Wir besichtigten verschiedene Kunstwerke von ihm und seinen internationalen Kollegen und zu guter Letzt den Steinbruch, wo riesige Steine aus aller Welt gelagert werden. Und da war sie wieder, eine der so wichtigen menschlichen Geschichten dieser Reise! Dann war es Zeit, Abschied zu nehmen. Mittags ging der einzige Zug, mit dem wir die Bikes transportieren durften. Vorbei an wilder Landschaft rauschten wir die Ostküste entlang zurück nach Taipeh.
MADE IN TAIWAN
Am nächsten Morgen grüßte das Murmeltier. Wieder die Station des Highspeed Railway, wieder Richtung Taichung. Genau wie letzten Sonntag. Nur dass wir dieses Mal keine Bikes dabei haben. Dieses Mal schauten wir, wo unsere Bikes ursprünglich herkommen. Syntace hatte eingeladen, die Produktionsstätten zu besuchen und die taiwanesischen Kollegen kennenzulernen.
Wir wurden freundlich empfangen. Tom von Syntace war zufällig auch vor Ort, da in dieser Woche die Taichung Bike Week statt fand. Er zeigte uns die Prüfstände, die Testcenter und wir bekamen einen Einblick in die Arbeitsschritte, die ein Syntace Megaforce Vorbau in seiner Entstehung so durchläuft. Nachmittags schauten wir dann noch kurz auf der Messe vorbei, bevor wir vom obersten Boss – natürlich – zum Essen eingeladen werden. Was für ein interessanter Tag!
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